Wer von Westkanada träumt, denkt automatisch an die Rocky Mountains. Der Banff Nationalpark in der Provinz Alberta, der bekannteste Nationalpark Kanadas, lockt jährlich 9 Millionen Besucher aus aller Welt an. Alle wollen die weltberühmten Seen mit ihrem durch das Gletschermehl (rock flour) strahlend türkis gefärbtem Wasser vor einer spektakulären Bergkulisse bewundern. Hier hat man die weite Einsamkeit Kanadas nicht ganz für sich allein, was aber nicht heißt, dass es sich nicht lohnt. Ganz im Gegenteil.
Ich wählte für meinen Aufenthalt eine Unterkunft über AirBnB in Golden, BC. Falls man längere Fahrten in Kauf nimmt, ist es günstiger, außerhalb der Nationalparks zu übernachten. Die Kallman Cottages sind absolut zu empfehlen, bieten eine grandiose Aussicht und man genießt absolute Stille. Ich wurde von den Besitzern herzlich mit selbstgebackenem Brot empfangen. Golden hat viel zu bieten und ist im Winter mit dem Kicking Horse Mountain Resort ein Paradies für Skifahrer. Hier wohnt auch die lokale Berühmtheit Boo der Grizzlybär.
Wenn man bei den berühmten Seen Lake Louise und Moraine Lake nicht vor einem vollen Parkplatz stehen möchte, sollte man in den Sommermonaten früh, am besten noch vor Sonnenaufgang, aufbrechen. Es gibt jedoch weiter weg noch Parkplätze mit Shuttle-Service und ab Spätnachmittag entspannt es sich auch wieder. Beide Seen sind atemberaubend schön und verdienen ihren Ruf ganz und gar. Es lohnt wirklich, hier wandern zu gehen. Am Lake Louise wanderte ich auf dem Lake Agnes & Little Beehive Trail, vorbei am Mirror Lake und Agnes Lake mit ihrer unwirklichen Farbe. Das Teehaus am Agnes Lake eignet sich für eine kleine Stärkung, bevor es weiter auf das Spitzplateau ging. Die Aussicht von dort oben verschlägt einem den Atem und man fühlt sich (wie oft in Kanada) winzig klein und ehrfürchtig vor der Schönheit der Natur.
Am Moraine Lake wählte ich den Larch Valley Trail, der mich bis zum Sentinel Pass brachte. Die kontrastreiche Wanderung ist zwar als moderat eingestuft, ein Spaziergang ist es jedoch nicht. Ganz oben auf dem Sentinel Plateau lag noch Schnee (im Juli) und der letzte Anstieg zur Spitze führte über verschneites, vereistes Geröll. Wanderschuhe und -stöcke nicht vergessen! Es warten nicht nur unterwegs gigantische Ausblicke, sondern auch das Ziel selbst ist wild, ursprünglich und die Anstrengung wert. Wer es etwas gemächlicher angehen lassen will, kann zum Beispiel den gut ausgebauten Weg am Johnston Canyon besuchen oder einfach am Ufer der Seen spazieren.
Auch die angrenzenden Nationalparks Kootenay und Yoho sind überaus erlebenswert. Plant ruhig einige Tage mehr ein. Je mehr Rockies, desto besser. Besonders der Spaziergang um den Emerald Lake ist ganz wunderbar und die Lakes O’Hara, Bow und Minnewanka sollte man nicht auslassen.
Ich folgte auch dem Tipp, am späteren Abend den Bow Valley Parkway zu fahren, da man dort abends häufig Tiere sehen könne. Ich hatte kein Glück, die Abendstunden gelten aber allgemein als besser für Tiersichtungen.
Apropos Tiersichtungen: In den Nationalparks bilden sich in Windeseile auf beiden Straßenrändern Trauben vieler Autos und RVs, sobald ein Tier die Nase aus den Bäumen steckt. Natürlich will man auch anhalten, es ist jedoch nicht ungefährlich. Man sollte gut aufpassen, sowohl auf den Verkehr als auch auf das Verhalten der Tiere. Sie können sehr schnell sehr gefährlich werden, wenn wir uns falsch verhalten. Nie einem Tier zu nahe kommen und vor allem unter allen Umständen im Auto bleiben. Ich sage das nicht ohne Grund, denn ich habe selbst eine Situation erlebt, in der eine Touristin mit gezücktem Handy dem Schwarzbären bis auf wenige Meter hinterherlief. Niemals füttern, denn „a fed bear is a dead bear“. Bären können übrigens bis zu 60 km/h schnell rennen, steile Berghänge in Sekunden hochklettern und auch Autotüren öffnen. Man sollte sich gründlich informieren, wie man sich „bear aware“ verhält. In jedem Touristeninformationszentrum gibt es genug Infomaterial und vor den Wanderungen sollte man sich auch über aktuelle Bär-Aktivitäten auf dem Trail erkundigen. Der Schwarzbär in dieser Situation interessierte sich zum Glück herzlich wenig für die lebensmüde Dame, schlenderte gemütlich am Straßenrand entlang und fraß Beeren.
Der bekannte Icefields Parkway verbindet auf ca. 230 Kilometern, auf denen jeder Meter schöner ist, als man fassen kann, die Nationalparks Banff und Jasper. Für diese Etappe sollte man sich einen ganzen Tag Zeit nehmen, um überall nach Lust und Laune halten und die gigantische Natur auf sich wirken zu lassen. Einer der bekanntesten Stopps ist der am Columbia Icefield, wo es mit riesigen Trucks auf den Athabasca Gletscher geht. Auf dem Columbia Icefields Skywalk kann man auf Glasboden über dem Abgrund seine Höhenangst bezwingen. Der Peyto-Lake ist nicht nur (mal wieder) wunderschön türkis, sondern sieht auch mit etwas Fantasie vom Aussichtspunkt aus wie ein Fuchs. Hat man es einmal gesehen, wird man es immer so sehen.
Mehr zufällig entdeckte ich nah an der Kreuzung zum HW11 einen Picknickplatz mit Aussicht auf das weite Howse Pass Tal. Dieser majestätische Anblick hat sich bis heute in mein Gedächtnis gebrannt wie kaum ein anderer.
Für den Jasper NP entschied ich mich für eine Ranch in Valemount, BC, also wieder außerhalb des Parks. Die beste Entscheidung überhaupt, denn auf der malerischen Ranch, auf der die Tiere teils frei herumlaufen, wurde in der ersten Nacht ein Fohlen geboren. Der Ranchbesitzer weckte uns um 4 Uhr morgens, damit wir zusehen konnten, wie auf der nebelverhangenen Weide im Morgengrauen die kleine Fantasy die ersten Schritte ihres Lebens machte. Nicht nur für mich als Reiterin hat das alles übertroffen.
Der Jasper NP, deutlich weniger frequentiert als Banff, hat mindestens genau so viel zu bieten und ist auch wieder eine eigene Reise wert. Die Sunwapta- und Athabasca Falls, eine Wanderung zum Kinney Lake (wer mehr Zeit hat, sollte einen Camping-Trip zum Berg Lake machen!), die Bootstour zur Spirit Island auf dem Maligne Lake, der Maligne Canyon… Auch hier ist einfach alles unglaublich schön. Ich wiederhole mich, es ist aber einfach so. Der Mount Robson, der höchste Berg der kanadischen Rockies, liegt ebenfalls im Jasper NP und lockt zahlreiche Kletterer und Wanderer. Wer Action sucht, sollte eine Rafting-Tour auf einem der vielen Flüsse mitmachen.
Für die letzte Etappe der Reise ging es den Icefields Parkway zurück (man kann ihn nicht oft genug fahren!), über das nette, touristische Städchen Banff bis nach Canmore. Hier empfehle ich ein Gin-Tasting in der RAW Distillery, die unglaublich leckere, kreative Sorten Gin und Wodka herstellt.
Ein besonderes Natur-Erlebnis, das einfach zu Kanada dazugehört, ist Zelten. Falls man ohne Ausrüstung unterwegs ist und es lieber erstmal in sicherem Terrain ausprobieren möchte, ist die Rafter Six Ranch perfekt dafür. Das komplette Zeltequipment kann man dort bequem vorab über AirBnB leihen. Beim „S’mores“-Grillen (Kekse mit Marshmallows) unter dem funkelnden Sternenhimmel hörte ich Wölfe heulen – einmalig!
Hier kann man sich auch Pferdemädchen-Kindheitsträume erfüllen: Ausreiten in den Rocky Mountains durch die Berge und Täler und entlang reißender Flüsse und glitzernder Seen. Vorsicht, Suchtgefahr!
Pferdefans sind sowieso in der Gegend rund um Calgary gut aufgehoben. Zahlreiche Ranches, auf denen man auch Working Holidays machen kann, erwarten Anfänger und erfahrene Reiter. Außerdem ist es die Heimat Calgary Stampede, der selbsternannten „Greatest Outdoor Show on Earth“. Jedes Jahr im Juli gibt es hier für 10 Tage alles, was das Cowboy/Cowgirl-Herz begehrt. Rodeo, Bullenreiten, Lassowerfen, Wagenrennen, Corn Dogs, Minidonuts, Jahrmarkt, Shows, Paraden und vieles mehr. Besser als in jedem Film!
Wo wir von Filmen sprechen: In High River, Millarville und Umgebung wird „Heartland“ gedreht, die erfolgreichste und langjährigste kanadische Familienserie, die es auch bis ins deutsche Fernsehen geschafft hat. In den Sommermonaten kann man mit etwas Glück direkt bei den Dreharbeiten in High River zuschauen. Falls gerade nicht gedreht wird, stöbert man im örtlichen Museum Requisiten und Kostüme durch. Spannend wird es auch in den Drumheller Badlands. Der Ort ist für außergewöhnliche Dinosaurier-Fossilienfunde bekannt, die man im Royal Tyrrell Museum of Palaeontology bestaunen kann.
In jedem einzelnen Ort, jedem einzelnen Nationalpark, in jeder Stadt dieser Route könnte man natürlich mehrere Wochen bis Monate bleiben und hätte immer noch nicht alles gesehen. Und diese ca. 4.000 km sind auf der kanadischen Landkarte gerade mal eine Daumenlänge. Wer schon immer mal nach Kanada wollte, sollte es dringend von der „irgendwann mal“-Liste nehmen und ein „jetzt sofort“ draus machen. Kanada ist zu besonders, um es lange aufzuschieben. Jede Provinz und jedes Territorium Kanadas ist anders und hat seine eigene Geschichte, Kultur und Natur. Was sie alle gemeinsam haben: sie sind gigantisch, atemberaubend schön, voller unvergesslicher Abenteuer und netter, gastfreundlicher Menschen.
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